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EBSW - Wort auf den Weg 2/2022

Kleine Fluchten

Sommer ist’s, und ich denke schon wieder an den Herbst. Dann wird mich die Arbeit wieder einholen, Planungen anstehen und dazu noch viele nicht vorhersehbare Aufgaben auf mich zukommen.

Es kann einem wie ein Berg vorkommen, was da vor einem liegt – ein Berg, den man nur mit Anstrengung bezwingen kann, oder einer, den man gern bewandert. Ja, wenn wir uns im Sommer ausgeruht und erholt haben, dann wird in der Regel vorausgesetzt, dass wir den kommenden Herausforderungen problemlos gewachsen sind und uns freudig an die Arbeit machen. Da hat das Jammern keinen Platz.

Meistens kommen wir tatsächlich mit frischen Kräften aus den sommerlichen Auszeiten in den Alltag zurück. Wir können anderes sehen, erleben, schmecken und spüren. Die Zeit ist nicht von Vorgaben bestimmt. Wir können sie eher selbst gestalten. Es spielt keine Rolle, ob man erst spät ins Bett kommt. Es gibt die Möglichkeit auszuschlafen. Gedanken an das Gelingen oder Misslingen der Aufgaben der nächsten Tage können ausbleiben. Die Besinnung auf sich selbst kann mehr Raum bekommen. Erholung stellt sich ein.

Was aber ist, wenn der Sommer vorbei ist? Wir können wieder richtig loslegen. Aber nach den ersten Wochen sind wir dann wieder völlig ausgepowert und nur noch müde.

Und dann? Wer gut und reichlich isst, bleibt auch nicht auf Dauer satt. Es gehört zu unserem Leben, dass wir Phasen großer Anstrengung erleben und dann Erholungszeiten brauchen.

Jeder Sportler, jede Sportlerin weiß das. Erschöpft sein ist ja nicht an sich problematisch. Das ist es nur dann, wenn keine Zeit ist, um wieder Kräfte zu sammeln.

Erschöpfungszustände werden nur dann gefährlich, wenn man immer weiter so arbeitet, als fehle einem nichts. Wenn das ein Dauerzustand wird, dann droht der Burn-out. Wir verlieren unsere Sorgfalt, werden flüchtig, machen Fehler.

Ein erholter Zustand lässt sich genießen, aber nicht konservieren. Erschöpfung wird sich unweigerlich einstellen. Engagierte Arbeit verbraucht nämlich Energie. Das ist auch gar nicht schlimm, wenn wir für uns Raum für die nötige Regeneration schaffen.

In den 1970er Jahren gab es einen Film mit dem Titel „Kleine Fluchten“: Dreißig Jahre schuftete der Knecht Pipe auf einem Bauernhof im Schweizer Jura. Nun ist er frei. Als erstes kauft er sich von seiner Rente ein Moped und erkundet damit neugierig die Umgebung, gewinnt damit sogar bei einem Rennen einen Preis. Seine neu gewonnene Freiheit gipfelt in einem Ausflug mit dem Hubschrauber aufs Matterhorn.

Auf einmal bekommen alle Menschen in Pipes Umgebung Lust, aus ihrem monotonen Alltag auszubrechen. Doch Pipe, der Knecht, bricht nun nicht alle Zelte ab. Er kehrt in seinen Alltag zurück. Aber dieser Alltag verändert sich plötzlich so, dass Pipe entspannter leben kann.

„Kleine Fluchten“ können offenbar große Erneuerungen bewirken. „Kleine Fluchten“ können in einem Latte Macchiato in einem gemütlichen Café bestehen, in einem fröhlichen Treffen mit Freunden, in einem Gottesdienstbesuch oder einer stillen Zeit mit Gott. „Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser“ (Psalm 23).

Auszeiten, Unterbrechungen im Alltag sind kein Luxus, sondern notwendig. Sie geben einem das Gefühl für einen selbst zurück und für die Freude im Leben. Sie sind vielleicht kein Heilmittel gegen die Erschöpfung. Aber „kleine Fluchten“ können dazu beitragen, die Zeit bis zur nächsten Erholungsphase mit hinreichendem Elan zu meistern.

Pfarrerin Anne-Dorothee Koch
Waiblingen-Beinstein.

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